Die letzte Hand (arthrosis and arthritis start both with art)
„Es ist früher Abend. Spätsommer. Ich sitze auf einem Sessel mit Rollen, die Füße benutze ich, um mich vorwärts- und rückwarts zu stoßen. Meine Gelenke, besonders die der Hand, sind angeschwollen und schmerzen. Glücklicherweise bin ich trotz meiner Entkräftigung noch stark genug. Diese Art der Fortbewegung hat den Vorteil, dass man um sich auszuruhen, einfach anhält. Die Hälfte des Tages und die ganze Nacht verbringe ich zudem im Bett, weil das Sitzen auf Dauer auch anstrengend ist. Ich arbeite, dabei bewege ich mich langsam, aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Ich benutze einen Bambusstock, an dessen Spitze ich die Kreide oder den Pinsel befestige. Papier oder Leinwand sind an der Wand. Mit dem Stab erreiche ich die Fläche von oben bis unten, von meinem Sessel oder dem Bett aus. Im Liegen zeichne ich, im Sitzen male ich. Ich kann den Pinsel mit dem Oberkörper führen und die Hände schonen. Es gibt Gedankenfarben, Geruchsfarben, Schmerzfarben, Nervenstrangfarben und Krebsangstfarben. Ich sitze und arbeite, das sind meine schönsten Stunden. Ich arbeite für mich, nur für mich, der Ellbogen und das Handgelenk fangen dabei an zu schmer- zen, ohne meine Arbeit würde ich das nicht aushalten. Der Rhythmus des Malens ist wie Schnappen nach Luft, wenn das Leben uns würgt. Ich habe jemanden, der mir hilft, alles nach meinen Anleitungen vorzubereiten. Ich muss meine ganze verbleibende Kraft auf die Ausführung konzentrieren. Ich muss schuften, denn die Energie wird immer weniger. Die Schwäche meiner schwachen Stellen kann laufend zunehmen. Ich kümmere mich sowenig als möglich darum, vielleicht verschwinden die Schmerzen angewidert von meiner Ignoranz. Ich verstehe nicht, dass es in der Bildhauerei oder Installationskunst eine Selbstverständlichkeit ist, dass die Ausführung fremden Händen, zb einer Gießerei überlassen werden kann, während in der Malerei kritisiert wird, wenn nicht der letzte Pinselstrich auch noch selbst gemacht ist. Manchmal überfällt mich Wut, wenn ich meine erzwungene Unbeweglichkeit spüre. Meine Arbeit zeigt nichts von diesen Plagen, nur in einzelnen Titeln spiele ich darauf an. Ein Bild heißt Das Kortison, ein anderes Arthrosis and Arthritis Start Both with Art. oder Baum der Hoffnung, bleibe stark. Übrigens ist Arthritis ein großer Vorteil fürs Malen. Sie hilft wie jedes andere Hindernis. Degas' beste Sachen stammen aus der Zeit, als er nicht mehr sehen konnte. Ich nenne diesen Abschnitt meiner Arbeit Mein zweites Leben. Ich habe jetzt die Freiheit zu tun und zu sagen, was ich will. Wenn man alle Regeln kennt, kann man auch gegen sie verstoßen. Mein Stil ändert sich. Ich lerne immer noch. Die Kunstwissenschaft und Kritik steht meinem Alterswerk ablehnend gegenüber. Sie verstehen nicht, dass die Einschränkung meiner Armbe- wegung durch die Reduktion zu mehr Präzision führt. Andere Arbeiten werden expressiver, ich will die Flamme lodern lassen, solange es geht. Alles, was ich vor dem 73. Jahr geschaffen habe, ist nicht der Rede wert. Erst wenn ich 110 sein werde, wird alles von mir und sei es auch nur ein Strich oder Punkt, lebendig sein. Einen Teil meiner Einnahmen spende ich für die Erforschung meiner Krankheit. Es wird behauptet, dass auch die Pigmente am Ausbruch schuld seien. Ausgerechnet das Material, mit dem ich am liebsten arbeite, ist mein Todfeind. Gerade die leuchtendsten Farben enthalten die giftigsten Schwermetalle. Genug für heute. Es ist Abend. Wenn etwas beendet wird, muss es vollendet sein. Der Text basiert auf Aussagen und Zitaten von Pierre Auguste Renoir, Samuel Beckett, Maria Lassnig, Frida Kahlo, Pablo Picasso, Henri Matisse, Gottfried Benn, Raoul Dufy, Jörg Immendorf, Francisco de Goya, Oskar Kokoschka, Hokusai, Niki de Saint Phalle, Alexej von Jawlensky. " Petra Egg
„Es ist früher Abend. Spätsommer. Ich sitze auf einem Sessel mit Rollen, die Füße benutze ich, um mich vorwärts- und rückwarts zu stoßen. Meine Gelenke, besonders die der Hand, sind angeschwollen und schmerzen. Glücklicherweise bin ich trotz meiner Entkräftigung noch stark genug. Diese Art der Fortbewegung hat den Vorteil, dass man um sich auszuruhen, einfach anhält. Die Hälfte des Tages und die ganze Nacht verbringe ich zudem im Bett, weil das Sitzen auf Dauer auch anstrengend ist. Ich arbeite, dabei bewege ich mich langsam, aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Ich benutze einen Bambusstock, an dessen Spitze ich die Kreide oder den Pinsel befestige. Papier oder Leinwand sind an der Wand. Mit dem Stab erreiche ich die Fläche von oben bis unten, von meinem Sessel oder dem Bett aus. Im Liegen zeichne ich, im Sitzen male ich. Ich kann den Pinsel mit dem Oberkörper führen und die Hände schonen. Es gibt Gedankenfarben, Geruchsfarben, Schmerzfarben, Nervenstrangfarben und Krebsangstfarben. Ich sitze und arbeite, das sind meine schönsten Stunden. Ich arbeite für mich, nur für mich, der Ellbogen und das Handgelenk fangen dabei an zu schmer- zen, ohne meine Arbeit würde ich das nicht aushalten. Der Rhythmus des Malens ist wie Schnappen nach Luft, wenn das Leben uns würgt. Ich habe jemanden, der mir hilft, alles nach meinen Anleitungen vorzubereiten. Ich muss meine ganze verbleibende Kraft auf die Ausführung konzentrieren. Ich muss schuften, denn die Energie wird immer weniger. Die Schwäche meiner schwachen Stellen kann laufend zunehmen. Ich kümmere mich sowenig als möglich darum, vielleicht verschwinden die Schmerzen angewidert von meiner Ignoranz. Ich verstehe nicht, dass es in der Bildhauerei oder Installationskunst eine Selbstverständlichkeit ist, dass die Ausführung fremden Händen, zb einer Gießerei überlassen werden kann, während in der Malerei kritisiert wird, wenn nicht der letzte Pinselstrich auch noch selbst gemacht ist. Manchmal überfällt mich Wut, wenn ich meine erzwungene Unbeweglichkeit spüre. Meine Arbeit zeigt nichts von diesen Plagen, nur in einzelnen Titeln spiele ich darauf an. Ein Bild heißt Das Kortison, ein anderes Arthrosis and Arthritis Start Both with Art. oder Baum der Hoffnung, bleibe stark. Übrigens ist Arthritis ein großer Vorteil fürs Malen. Sie hilft wie jedes andere Hindernis. Degas' beste Sachen stammen aus der Zeit, als er nicht mehr sehen konnte. Ich nenne diesen Abschnitt meiner Arbeit Mein zweites Leben. Ich habe jetzt die Freiheit zu tun und zu sagen, was ich will. Wenn man alle Regeln kennt, kann man auch gegen sie verstoßen. Mein Stil ändert sich. Ich lerne immer noch. Die Kunstwissenschaft und Kritik steht meinem Alterswerk ablehnend gegenüber. Sie verstehen nicht, dass die Einschränkung meiner Armbe- wegung durch die Reduktion zu mehr Präzision führt. Andere Arbeiten werden expressiver, ich will die Flamme lodern lassen, solange es geht. Alles, was ich vor dem 73. Jahr geschaffen habe, ist nicht der Rede wert. Erst wenn ich 110 sein werde, wird alles von mir und sei es auch nur ein Strich oder Punkt, lebendig sein. Einen Teil meiner Einnahmen spende ich für die Erforschung meiner Krankheit. Es wird behauptet, dass auch die Pigmente am Ausbruch schuld seien. Ausgerechnet das Material, mit dem ich am liebsten arbeite, ist mein Todfeind. Gerade die leuchtendsten Farben enthalten die giftigsten Schwermetalle. Genug für heute. Es ist Abend. Wenn etwas beendet wird, muss es vollendet sein. Der Text basiert auf Aussagen und Zitaten von Pierre Auguste Renoir, Samuel Beckett, Maria Lassnig, Frida Kahlo, Pablo Picasso, Henri Matisse, Gottfried Benn, Raoul Dufy, Jörg Immendorf, Francisco de Goya, Oskar Kokoschka, Hokusai, Niki de Saint Phalle, Alexej von Jawlensky. " Petra Egg